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Jessica Jan und Leanne Stouthandel in Israel
22 Apr 2022

Angriff auf die eigene Vorstellungswelt

Nach mehrmaligem Aufschieben konnte die von der BewegungPlus und der Organisation be’yachad* organisierte Begegnungsreise nach Israel stattfinden. Ein Erfahrungsbericht.

Die langsam schwindenden, doch immer noch spürbaren coronalen Massnahmen in vielen Ländern Europas hatten im Vorfeld eine selektionierende Wirkung auf die Gruppenkonstellation. Schliesslich konnte eine zwar überschaubare, aber motivierte Crew mit Leuten aus verschiedenen BewegungPlus-Kirchen nach Tel Aviv fliegen. Meine Frau Jessica und ich hatten vor der Abreise mit verschiedenen Personen über unsere Reisepläne gesprochen und dabei erkannt, dass Reisen nach Israel offenbar das Potenzial haben, bedeutsame, manchmal sogar lebensverändernde Erfahrungen zu werden. Somit machten wir uns auf alles gefasst. Zudem hatten wir uns entschieden, unsere noch windelfüllende, bewegungsliebende kleine Tochter mitzunehmen, was eine gewisse Zusatzherausforderung darstellen könnte.

Begegnungen im Fokus

Als israeltechnische Erstbereiser löste dieses Land von Beginn an eine Mischung von Neugier, Staunen und Überforderung bei uns aus. Uns wurde rasch bewusst, dass wir uns an einem Ort befanden, der auf mehreren Ebenen spannungsvoll interessant war. Ich war mir bisher nicht bewusst gewesen, dass hier auf geographisch gesehen engstem Raum eine solche Dichte von alttestamentlich bedeutungsvollen Orten zu finden ist, das Wirken von Jesus offenbar jede Weggabelung zu einem Gedenkort werden liess und zudem die aktuellen Themen rund um den modernen Staat Israel so viel Raum einnehmen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Israel mit einem bewussten Fokus zu bereisen. Wir hatten uns für eine «Begegnungsreise» angemeldet und somit lag unser Fokus auf Begegnungen mit Partnern von be’yachad und dem Besuchen von ihren messianisch-jüdischen und arabisch-christlichen Kirchen.

Die Tochter zeigt sich von der Taufstelle Jesu wenig beeindruckt. Die Tochter zeigt sich von der Taufstelle Jesu wenig beeindruckt.

Die funkelnden Augen der Pastoren zu sehen, die beim Erzählen von erlebten Wundern immer grösser wurden, und zu hören, wie sie trotz grossen Herausforderungen entschlossen und visionär von der Zukunft erzählen, hatte eine belebende Wirkung auf mich. Ihre Geschichten spornten mich an, mich Jesus neu voll und ganz hinzugeben, mich für Versöhnung einzusetzen und meinem Gott auszudrücken, dass es mir um seine Ehre geht. Zu sehen, wie sich Kirchen den aktuellen Nöten der Menschen in ihren Gebieten zuwenden und angetrieben von Barmherzigkeit handeln, forderte mich heraus, die Relevanz von meinem eigenen Engagement zu prüfen.

Wenn die Realität die eigenen Vorstellungen herausfordert

Neben diesen erfrischenden und inspirierenden Begegnungen hatten wir die Möglichkeit, einige angeblichen Schauplätze von uns bekannten alt- und neutestamentlichen Bibelgeschichten zu besuchen. So begaben wir uns auf die Spuren von König David, der sich vor Saul in einer Höhle mit Sicht auf das Tote Meer versteckte, besichtigten das Schlafzimmer von Simon Petrus und staunten über den Kreisel, an dem Maria vom Engel erfuhr, dass sie schwanger sei. Einerseits lösten die Besuche dieser Orte bei mir eine Begeisterung aus, weil einige Geschichten für mich plötzlich lebendig und be«greif»bar wurden. Andererseits war es auch dieses Realwerden, das mir Mühe bereitete. Beispielsweise hatte ich in meiner Vorstellung ein klares Bild davon, wie die Taufstelle von Jesus ausgesehen hat. Nun zu sehen, wie sie «wirklich» ausgesehen haben könnte, löste in mir einen Konflikt aus: Will ich mir in Zukunft nun diese vor mir liegende Szenerie vorstellen oder doch lieber an meiner mir liebgewordene Tauflandschaft festhalten? So habe ich mich bei einigen Orten noch nicht abschliessend entscheiden können, ob ich bereit bin, mich von meinen eigenen Vorstellungen zu trennen.

Kopf- und herzmässige Kapazitätsgrenzen

Die letzten Tage der Reise verbrachten wir – ähnlich wie Jesus – in und um Jerusalem. Jerusalem scheint gewissermassen das Konzentrat der biblischen Geschichten, vom Leben von Jesus und von den im ganzen Land ohnehin bereits spürbaren Spannungen. Hier treffen Fronten und Meinungen noch heftiger aufeinander und noch zahlloser sind hier die Häuser, Handabdrücken und Gräber, die man gesehen haben muss. Ich ertappte mich dabei, dass ich historisch und biblisch höchst relevante Orte, für deren Besichtigung man andernorts zu stundenlagnen Autofahrten bereit wäre, zu vermeiden versuchte – im geschichtsgetränkten Jerusalem kam ich an meine kopf- und herzmässigen Kapazitätsgrenzen. So gibt es in diesem Land für mich auch in Zukunft noch einige Orte zu bereisen und entdecken.

Die Altstadt von Jerusalem bringt den Autor an die Grenze zur Überforderung, was man alles gesehen haben muss. Die Altstadt von Jerusalem bringt den Autor an die Grenze zur Überforderung, was man alles gesehen haben muss.

Mit diesen zahlreichen, belebenden, orientalischen und aufwühlenden Erfahrungen stiegen wir nach wenigen, doch anständig gefüllten Tagen wieder in unseren Flieger und reisten zugleich erschöpft und zufrieden zu unseren Kirchen zurück. Der Einblick half mir, etwas Distanz zu meinen unlösbar gross scheinenden Alltagsherausforderungen zu gewinnen, meinen Blick für das Wesentliche zu schärfen und neu Feuer dafür zu fangen, dass ich dazu beitragen kann, dass das Reich Gottes in diese Welt kommt.

* Die Organisation be’yachad ermutigt durch Vernetzung messianisch-jüdischer und palästinensisch-christlicher Gemeinden dazu, Versöhnung zu leben. Die Unterstützung ihrer Mitarbeiter fördert Gemeindewachstum in Israel und in den autonomen Gebieten. www.beyachad.ch