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erbe_matthias
08 Feb 2022

Das Erbe der BewegungPlus: Wofür ich dankbar bin

Eine persönliche Rückschau auf seine vergangene Geschichte mit unserer Bewegung von Matthias Wenk.

Als ich im Alter von ca. 16 Jahren aus der Täufergemeinde in die damalige GfU (heute BewegungPlus) wechselte, beziehungsweise «gewechselt wurde», waren es vor allem zwei Merkmale, die mir sofort ins Auge sprangen und die mich bis heute prägen.

Der Umgang mit der Bibel

Von den Täufern her war ich mir gewohnt, dass die Bibel einen zentralen Platz im Leben der Christen und der Gemeinde hat. Allerdings war dieser Umgang für mich zuweilen schwer verständlich und die Predigten langweilig und weit weg von meinem Leben. In der GfU war das anders. Auch dort war die Bibel zentral, aber es war ein Buch des Lebens und für das Leben. Ich erlebte, wie die Bibel als das Wort Gottes in mein Leben sprach, in mir Leben weckte und buchstäblich lebensnah war. Ich erinnere mich an eine Predigt von Erich Schwegler an einem Silvesterabend zum Psalm 139. Die Predigt dauerte ganze 45 Minuten, und am Ende war ich enttäuscht, dass sie schon fertig war. Erich war kein Entertainer, als Redner durchschnittlich, aber er liess das Wort zu Wort kommen, und das weckte Leben in mir. Ich entdeckte: Die Bibel war nicht nur eine Gebrauchsanweisung für das Leben, sondern Worte des Lebens.

Zudem kamen die anderen GfU-Prediger aus der Region zu uns nach Wädenswil. Ihr Umgang mit den biblischen Texten war zuweilen ganz anders als der von Erich. Jean-Claude Chabloz war ein Allegoriker der Extraklasse, Alun Morris ein messerscharfer Analytiker, Paul Hess ein Seelsorge-Bibelausleger. Aber sie alle haben in ihrer ganz unterschiedlichen Art das ewige Wort Gottes mit meinem Leben in Verbindung gebracht. Ich spürte, wie mein Herz zu brennen anfing, wenn sie mir die Schrift aufschlossen.

Später habe ich die Texte von Johann Widmer und Robert Willeneger auf ihren Umgang mit der Bibel hin untersucht. Bei beiden stellte ich in ihrer je ganz unterschiedlichen Art das Gleiche fest: Sie rechneten immer damit, dass die biblischen Texte im Leben von uns etwas bewirken.

Das führt mich zum zweiten, was mir in der GfU sofort auffiel und ich als Erbe übernommen habe und auch weitergeben möchte:

Offenheit und Vielfalt: Wir lernen in allen Begegnungen

Wie erwähnt gingen die unterschiedlichen Personen innerhalb der GfU ganz unterschiedlich mit der Bibel um. So ganz geräuschlos ging das nicht immer vonstatten, denn mit der gleichen Bibel kam Robert Willenegger zum Schluss, dass das Zungenreden für alle Christen sei und deshalb aktiv gesucht werden müsse, während Johann Widmer nie in Zungen betete, dafür den Heilungs- und Befreiungsdienst betonte. In einem alten Protokoll des damaligen Landesrates heisst es dann auch: «Es ist mit Bruder Willenegger zu reden wegen einer Überbetonung der Zungenrede.»

Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre kam dann der Boom von «Jugend mit einer Mission». Bei unseren Jugendtagungen und Leiterschulungen wurden viele Redner von da eingeladen und unzählige Jugendliche besuchten ihre Schulen. Ich erinnere mich aber auch noch an eine Auseinandersetzung unter GfU Pastoren, in der jemand eindringlich vor den negativen Einflüssen von «JmeM» warnte, während  andere Pastoren die positive Ergänzung hervorhoben. Da wurde gerungen und zuweilen gefightet, aber am Ende öffnete man sich für die Ergänzung, welche «JmeM» brachte – und das erwies sich als echter Gewinn für die Bewegung und auch für mein Leben.

Evangelisation oder soziales Engagement?

Genau gleich verlief es mit der Betonung von Evangelisation und sozialem Engagement: Die Leiter von «Teen Challenge Schweiz», dem Vorreiter in der Arbeit mit Drogensüchtigen, stammten alle aus der GfU. Dadurch wurde das «Baumgärtli» ins Leben gerufen, der Prototyp einer therapeutischen WG für Menschen mit psychischen Problemen. Dort verband man therapeutische Arbeit und Gebet miteinander.

Diese Offenheit fand ich ebenso in den Schriften von Johann Widmer und Robert Willenegger. Widmer berief sich für seinen Heilungsdienst immer auf Christoph Blumhardt. An anderen Stellen zitierte er Kierkegaard, um seine Position zu untermauern. In der damaligen Verbandszeitschrift «Ich komme bald» wurde zur Frage über den Umgang mit den Geistesgaben ein Artikel von Eduard Schweizer, einem reformierten Uniprofessor, abgedruckt. Es wurde der 125. Todestag von Pestalozzi gewürdigt, der prophetische Dienst von Jeremias Gotthelf hervorgehoben, oder es fand eine öffentliche Auseinandersetzung rund um den umstrittenen Heilungsevangelist William Branham statt – ohne dass am Ende die Position der Bewegung dazu festgehalten wurde.

«Man kann es auch ganz anders sehen»

Als 21-jähriger sass ich in einer Bibelstunde in Grenchen und sah vieles völlig anders als der Leiter. Aber ich dachte «Er ist der Pastor, er muss es ja wissen» und versuchte meine Meinung als Verirrung zu deklarieren und die Ansicht des Pastors zu übernehmen (was mir jedoch nur mässig gelang). Am Ende stand Toni Nyffenegger auf und meinte ganz gelassen: «Selbstverständlich kann man es auch ganz anders als Martin sehen.» Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn ich war also mit meinen kritischen Fragen nicht allein.

Als ich viel später einmal Erich Schwegler im Zusammenhang mit Frauenordination, Transaktionsanalyse und Meditation fragte, ob er denn in all den neuen Entwicklungen noch die alte GfU erkenne, meinte er nur: «Das sind ganz natürliche Weiterentwicklungen von dem, was schon immer in unserer DNA vorhanden war.»

Angstfreie Offenheit

Diese grundsätzliche und angstfreie Offenheit und das Vertrauen in das Wirken des Geistes in anderen Traditionen, Menschen und Ansichten hat mich stark geprägt und ist ein Erbe, das ich gut verwalten und weitergeben möchte.

Was ich diesem reichen Erbe hinzufügen möchte ist meine Dankbarkeit und im wahrsten Sinn des Wortes nur eine Fussnote. Diese Fussnote hat ihren Ursprung in Personen wie Theo Lachat oder Alun Morris, aber auch in all jenen geistlichen Vorbildern während meinem Studium. Sie lautet: Wir brauchen vor der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit unserem Glauben und der Bibel keine Angst zu haben, denn ich erlebte, wie gerade durch die wissenschaftliche Arbeit der Glaube gestärkt, die Hingabe gefördert und das Leben zur Entfaltung gebracht wird.

Tränen mitten im wissenschaftlichen Arbeiten

Ich erlebte, wie meinem Professor für systematische Theologie mitten in der Vorlesung zur Christologie die Stimme versagte, er unterbrechen und Gott unter Tränen danken musste, bevor er weiter dozieren konnte. Ich erlebte, wie sich mir mitten in trockener wissenschaftlicher Übersetzungsarbeit an meinem Pult der Himmel öffnete und ich etwas von der Herrlichkeit und Grösse des Heils zu erahnen begann, das Gott uns im Sterben und Auferstehen von Christus und seiner Geistausgiessung schenkt. Ich erahnte dort die Herrlichkeit Gottes, so dass es mir nicht mehr möglich war, weiterzuarbeiten. Und ich erlebte, wie an einem wissenschaftlichen Vortrag über den Umgang von Frauen mit schwierigen Bibeltexten der Geist hereinbrach, der Vortrag unterbrochen wurde, Männer nach vorne kamen und Busse taten für ihre Achtlosigkeit gegenüber Frauen. Nach ungefähr zwanzig Minuten ging der Vortrag dann weiter und es wurde nach allen Regeln der Kunst wissenschaftlich debattiert.

Dank der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Bibel und dem Glauben ist meine Liebe zum Wort Gottes heute grösser, mein Vertrauen in seine Eigenwirkkraft stärker und meine Dankbarkeit für dieses Wort bestimmend für meinen Umgang mit ihm. In den unzähligen wissenschaftlichen Büchern, die ich bereits gelesen habe, ist Gott mir begegnet, genauso wie er mir jeden Sonntag in den Menschen der Kirche begegnet, oder wie er am Mittwochabend durch die Leute der Kleingruppe zu mir spricht, wenn wir miteinander die Bibel lesen.

Dieser Text wurde als Referat an der jährlichen Pastorentagung der BewegungPlus Schweiz im November 2021 gehalten.