«DIY» – Do it yourself: individuell, unabhängig, nicht auf andere angewiesen. Das ist im Trend.
Da stellt sich die Frage: Wie können Kirchen in einer individualisierten Gesellschaft eine Gemeinschaft sein? Dies war der Ausgangspunkt meiner Ordinationsarbeit und schnell stellte ich fest, dass Individualismus nicht nur negativ zu betrachten ist. Das Individuum und dessen Bedürfnissen stärker zu betonen, brachte durchaus Positives hervor: Selbständigkeit, Liebesheirat, Emanzipation der Frauen und Kinder, eigenständige Berufswahl, Entscheidungs- und Meinungsbildung, Produktivitätssteigerung sowie die Religionsfreiheit.
Heinrich Hoffmann, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Bern, drückte es bereits vor 100 Jahren treffend aus: «Wir empfinden diesen Individualismus gegenüber dem Zwange vergangener Zeiten als ein notwendiges Stück Lebensluft, in der wir atmen. Aber wir empfinden auch die schweren Schäden eines übersteigerten Individualismus.» Schäden wie eine erschwerte Identitätsfindung, Druck zur Selbstverwirklichung, dauernden Selbstoptimierung, Überforderung durch all die Wahlmöglichkeiten oder egoistisch verstandene Freiheit.
Wichtig ist die Unterscheidung von Individualismus und Individualität. Letztere meint Eigenschaften, die einzelne Menschen ausmachen, und ist von Gott gewollt und bejaht. Als am ersten Pfingstfest verschiedenste Menschen Teil einer Gemeinde wurden, wurde ihre Individualität in Form ihrer Sprache bestätigt. Spricht die Bibel von der Gemeinde als Leib mit verschiedenen Körperteilen, drückt sie genau das aus: Die individuellen Persönlichkeiten bleiben erhalten, aber sie sind nicht selbstgenügsam. Bereits im Schöpfungsbericht lesen wir, dass es nicht gut ist, wenn der Mensch (mit Gott!) allein bleibt. Erst in Gemeinschaft mit anderen ist der Mensch Mensch und damit Ebenbild Gottes. Dies schliesst ein individualistisches «Ich und mein Gott reichen mir» von vornherein aus.
Wie kann eine Kirche in einer individualistisch geprägten Zeit aussehen? Als Kirche wollen wir mit der guten Botschaft an die Bedürfnisse der heutigen Menschen anknüpfen:
In der Gemeinde gehen wir gesund mit den Wünschen der Individuen um und lösen sie weder von der Gemeinschaft noch von Christus, sondern lassen Menschen an Verantwortung, Aufgaben und ihren Mitmenschen partizipieren. Partizipation meint, dass wir sowohl Anteil am Leben der anderen nehmen sowie Anteil an unserem eigenen Ergehen geben. Das drücken wir auch im Gottesdienst aus:
Wer erlebt, wie der Geist Gottes die Individualität der Einzelnen bejaht, sie aber gleichzeitig zu einem Leib vereint und ihr Leben dadurch zur Entfaltung bringt, hat keinen Bock mehr auf eine ständige DIY-Mentalität.
Die ganze Ordinationsarbeit zum Thema Kirche und Individualismus kann bei Sandra Weibel (s.weibel@bewegungplus.ch) kostenlos angefordert werden.