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Relevanz
21 Okt 2022

Wieso Gesellschaftsrelevanz wichtig ist

Soll eine Kirche Gesellschaftsrelevanz anstreben? Es geht gar nicht anders.

Bevor Jesus zurück zu seinem Vater ging, liess er ein deutliches Anliegen zurück: «Geht hin in die ganze Welt.» Eine Kirche bauen per se kann also nicht der Hauptauftrag seiner Nachfolger sein. Im Gegenteil: Bei so viel «Kommt her»-Anlässen müsste das «Geht hin» neu überdacht werden. Dietrich Bonhoeffer erklärte einst herausfordernd: «Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.»

Was bedeutet «Geht hin»? Die Bibel ermuntert uns, Licht (im Dunklen) und Salz (in der Suppe) zu sein. Als Nachfolger von Jesus sind wir Teil dieser Gesellschaft. Fragt sich nur, ob wir ein aktiver oder passiver Teil davon sind.

Wieso Gesellschaftsrelevanz wichtig ist

Menschen haben kein Vertrauen in etwas, das sie nicht kennen. Wenn jemand eine «lebensrelevante» Beziehung zu einer Nachbarin aufbaut und diese vom Hintergrund der Person erfährt, kann das schwerwiegende Konsequenzen haben: Wenn die Kirche als Sekte empfunden wird, könnte die Beziehung sofort beendet werden. Im Umkehrschluss: Ist eine Lokalkirche überhaupt nicht bekannt, kann das Sektenimage persönliche Beziehungen verhindern. Verstanden werden ist unsere Bringschuld.

Ohr in der Bibel und in der Welt

Die harte Wahrheit ist: Wer in den Medien nicht vorkommt, existiert in der Welt nicht. Wer sich nicht dort bewegt, wo der Brennpunkt der Gesellschaft ist, der ist aussen vor. Wer nicht medienrelevant ist, ist auch nicht gesellschaftsrelevant. Auf die Frage, ob es für Christen überhaupt wichtig sei, von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, antwortet Kommunikationsexperte Prof. em. Roger Blum einleuchtend: «Wenn man eine Gruppierung oder Bewegung nicht richtig wahrnimmt, gibt es eine öffentliche Ignoranz oder aber Gerüchte über sie.» Wer sich mit den Themen der Gesellschaft beschäftigt, wird sich weniger mit Insiderthemen beschäftigen und sich vermehrt fragen: Was interessiert die Menschen von heute? Was sind unsere Antworten auf ihre Lebensfragen? Der Theologe John Stott sagte: «Wir müssen ein Ohr in der Bibel und ein Ohr in der Welt haben.»

Keine Frage der Macht

Es geht bei Gesellschaftsrelevant nicht um strukturelle (politische) Macht in der Gesellschaft. Da sind die weissen Evangelikalen in den USA ein schlechtes Vorbild: 2020 wählten 76 Prozent von ihnen Donald Trump, weil sie ihn als von Gott gesandt betrachteten. Sie wollten mit der Gottesherrschaft irdische Macht über die Gesellschaft erlangen. Das wird nicht geschehen und das Ansinnen geriet spätestens nach dem Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 in komplette Schieflage. Jesus hat nie einen Machtanspruch gestellt, doch er hat die Mächtigen seiner Gesellschaft bis tief ins Mark provoziert und zum Nachdenken gebracht. Jesus war der grösste Mann der Geschichte, doch er schrieb selber kein Buch. Er hatte keine Diener, doch man nannte ihn Meister. Er hatte kein Diplom und kein Vorlesungssal, doch sie nannten ihn Lehrer. Er hatte keine Medikamente, doch nannte man ihn Heiler. Er hatte keine Armee, doch Könige fürchteten ihn. Er gewann keine militärischen Schlachten, doch er eroberte die Welt.

Anglikanische Kirche als Vorbild

Spannend finde ich die Initiative der Anglikanischen Kirche in England: Sie lanciert mit «Cultural Witness» ein Programm mit der Idee, dass christliche Inhalte im Kontext der gesellschaftlichen Diskussion wieder relevant werden können. Sie hat dafür extra Bischof Graham Tomlin beauftragt. Er hat die Aufgabe, die «Würdigung des Glaubens in einem breiteren öffentlichen Diskurs mit dem Aufbau von Vertrauen in die theologische und intellektuelle Festigkeit des Glaubens unter Laienchristen» zu schaffen. Er soll die Kirche in die Lage zu versetzen, in diesen herausfordernden Zeiten ein lebendiges Zeugnis zu bewahren und zu entwickeln. Die Anglikanischen Kirche ist überzeugt: «Die Verwirklichung all dieser Bestrebungen erfordert einen ernsthaften Versuch, die christliche Geschichte in der Öffentlichkeit offensiver zu erzählen und diesen Glauben in unserem gegenwärtigen Klima intelligent und fantasievoll zu verteidigen und zu verkünden.» Sie weiss: Die öffentlichen Medien hören der Kirche noch zu, wenn sie sich zu politischen Themen äussert oder sich für soziale Belange einsetzt. Doch ist es schwieriger geworden, im öffentlichen Diskurs dem Kern der kirchlichen Botschaft Gehör zu verschaffen, die sich auf Jesus Christus und die kreative, fantasievolle und kulturgestaltende Kraft des christlichen Evangeliums konzentriert.

Das Konzept basiert auf Kommunikation, Lernen und Forschen. Der wichtigste Aspekt des Projekts ist eine hochwertige Website im Stil eines Magazins (wie beispielsweise Spectator, Unherd oder New Statesman). Der Schwerpunkt liegt nicht auf kircheninternen Debatten, sondern ist nach aussen gerichtet und wendet sich entweder an den interessierten Beobachter oder an den, der sich über den christlichen Glauben informieren möchte. Oder an Christen, die ihren Glauben besser verstehen wollen, um ihn weiterzugeben. Sie soll eine Anlaufstelle für frische, durchdachte christliche Kommentare zu aktuellen Themen sein, um das allgemeine Verständnis des christlichen Glaubens zu verbessern. Für das Projekt will die Anglikanische Kirche in den nächsten vier Jahren 2,2 Millionen Pfund ausgeben.

 

Lies zu diesem Thema auch den Artikel von Philipp Erne, der das Streben der Kirche nach Gesellschaftsrelevanz kritisch sieht.