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WuW-Web
18 Jun 2023

Wunder und Wunden

Wie ein Igel und ein Luftballon. Etwa so passen unsere Erfahrungen des Glaubens oft zusammen.

Auf der einen Seite Momente und Ereignisse von Gottes Hilfe und Nähe. Auf der anderen Seite eiternde Wunden und kaltes Schweigen. Was tun? In der BewegungPlus Grenchen haben wir uns im vergangenen Herbst mit der Spannung von Wundern und Wunden auseinandergesetzt. Das erste Trostpflaster vorweg: Schon den ersten Christen erging es ähnlich. Der eine Apostel wurde wundervoll aus dem Gefängnis befreit, der andere sang- und klanglos hingerichtet.

Auch die Biographie von Johannes dem Täufer zeugt von diesem Wechselbad. Als erfolgreicher Erweckungsprediger gestartet – in jedem Kirchenverband wäre er sofort ins Rampenlicht gestellt worden: So geht Gemeindebau! – spielt ihm später das Leben mit seinen Gegnern übel mit, bis er nach zermürbenden Monaten im Gefängnis zu zweifeln beginnt, ob er mit Jesus wohl auf das falsche Pferd gesetzt hat. Dessen Antwort mit Hinweisen auf die Zeichen des in Fahrt kommenden Gottesreichs müssen wohl ziemlich zwiespältig auf Johannes gewirkt haben. Ist ja alles schön gut, aber wo ist denn MEIN Wunder? Ich sitze hier fest und versaure. Wer auf eine späte Wende in Johannes’ Leben hofft, die am Ende in Hollywood’scher Manier alle Probleme in Luft auflöst, wird enttäuscht. Elender könnte die Geschichte nicht enden.

Doch was kann uns, abgesehen vom Trost, dass es anderen auch so ging, helfen? Hier ein paar Learnings, die ich mitgenommen habe.

Dem Drang widerstehen, Erklärungen zu finden

Es ist menschlich (und manchmal durchaus auch sinnvoll), nach Gründen für unser Ergehen zu suchen. Bei Leiderfahrungen bieten sich im spirituellen Bereich Erklärungen à la «Da gibt’s noch Hindernisse für Gottes Wirken», «Wir müssen noch dies und das tun, damit es klappt» oder «Es mangelt noch an Glauben» an. In der grossen Mehrheit von Situationen wird uns das nicht weiterbringen, sondern nur schtigelisinig machen und Beziehungen zerstören. Nicht umsonst sind die biblischen Erfahrungsberichte oft sehr zurückhaltend, wenn es um Erklärungen geht – sowohl bei Wunden wie auch bei Wundern.

Beides in einem Atemzug nennen

Am Ende unserer Serie öffneten wir im Gottesdienst den Raum mit der Frage: Erzähl dein grösstes Wunder UND deine grösste Wunde. Zusammen! Noch selten hat mich eine Zeugniszeit so bewegt und gestärkt. Wunder und Wunden in einem Atemzug zu hören bewahrt uns davor, das eine auf Kosten des anderen zu verdrängen. Wie oft reden wir nur vom Wunderbaren und blenden das Schwierige aus. Oder der Schmerz wird in Zeiten des Leids so dominant, das wir darüber frühere Erfahrungen mit Gott kleinreden oder wegerklären. Vergessen wir in der Dunkelheit nicht, was wir im Licht gesehen haben. Und umgekehrt.

Dein Wunder ist mein Wunder und deine Wunde ist meine Wunde

Erfahrungen sind oft äusserst ungleich verteilt. Die einen erleben tausend Zeichen von Gottes heilsamem Eingreifen, bei anderen will die Reihe an Tragödien nicht abbrechen. Wenn jeder seine persönlichen Erfahrungen zum Mass aller Dinge macht, gibt es ein individualistisches Vorwurfsmüesli von «Du müsstest es eben machen wie ich» bis zu «Ich spreche dir dein Wunder ab». Wenn Paulus die Gemeinde mit einem Leib vergleicht, geht das weit über Gabenergänzung hinaus. Es geht um die Haltung, dass ich die Erfahrungen der anderen anerkenne und nicht immer alles selbst erleben muss. Am Abschlusssonntag haben wir als Gemeinde deshalb auf jeden Erfahrungsbericht mit den Worten geantwortet: «Dein Wunder ist unser Wunder, und deine Wunde ist unsere Wunde.»

Die nachhaltigsten Wunder haben mit Liebe zu tun

Was ich aus unserer Reise schliesslich mitgenommen habe: Beim Nachsinnen über die prägendsten Wundererfahrungen im Leben treten unerklärbare Einzelereignisse oft hinter das Wunder der Liebe zurück. Es wurde davon erzählt, dem höchst manipulativen Vater vergeben zu können; von einer Partnerschaft, die sich wieder versöhnt hat; von Menschen, bei denen auch in grossem Elend die Verzweiflung nicht das letzte Wort hatte und die dadurch für andere zur Gotteserfahrung wurden. So gesehen stehen sich Wunder und Wunden nicht unvereinbar gegenüber, sondern liegen überraschend nahe beieinander: Das grosse Wunder der Liebe zeigt sich nicht selten gerade in den Wunden des Lebens.