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Gastfreundschaft
04 Mrz 2024

Gastfreundschaft als Weg der Mission

Eine Basler Pastorin fragt sich, wie Gastfreundschaft gelebt werden kann – und erinnert sich an einen Spitalrapport.

Auf dem Heimweg von meiner Arbeit im Spital wurde ich kürzlich von einem Bettler angesprochen. Schon von Weitem hatte ich ihn gesehen und dabei gedacht: Bitte sprich mich nicht an! Als Signal, dass ich nicht angesprochen werden will, montierte ich meine Kopfhörer. Doch als er mich beim Vorbeigehen trotzdem mit «Entschuldigung …» ansprach, konnte in mir etwas nicht anders, als stehen zu bleiben und den Kopfhörer herauszunehmen. Er schaute mich überrascht an und sagte: «Danke, dass Sie mich wahrnehmen! Ich bin schon lange hier und Sie sind heute die erste Person, die tatsächlich stehen bleibt und eine Reaktion zeigt. Danke, dass Sie mir in die Augen schauen!»

Ich muss zugeben, seine Reaktion hat mich aufs Tiefste beschämt. All meine negativen Gedanken! Ich sage zwar oft, dass ich mit den Menschen Leben teilen möchte, doch wie ich in dieser Situation feststellte, stimmt das nicht ganz. Das mag auf Menschen zutreffen, die ich mir aussuchen kann. Aber was ist mit den anderen?

An der Pastorentagung im vergangenen Herbst sprach der Theologe Stefan Schweyer zum Thema «Gemeinde mit Mission», das er ausführlich in seinem gleichnamigen Buch erörtert. Dabei betonte er den Aspekt der Gastfreundschaft und wie man diese als Gemeinde leben kann. «Missio» ist lateinisch und bedeutet Sendung. In Johannes 20,21 sagt Jesus zu seinen Jüngern: «Wie der Vater mich gesendet hat, so sende ich euch.» Damit gab Jesus den Jüngern den Auftrag, das zu tun, was er vorgelebt hatte: Beziehungen zu den Menschen zu knüpfen, Gastfreundschaft zu pflegen – an Orten, wo man es nicht erwarten würde, und mit Menschen, die aus der Norm fallen – und damit den Hoffnungslosen Hoffnung zu bringen. Kurz gesagt: Jesus teilte sein Leben mit seinen Mitmenschen und setzte damit das Evangelium in Wort und Tat um. Jede Person, die an Jesus glaubt, ist nun ebenfalls gesendet und befähigt, das ebenso zu tun.

Das Leben teilen

Das Leben zu teilen beinhaltet aus meiner Sicht zwei Aspekte, die eng zusammengehören: Der erste Aspekt ist, als Kirche Beziehung zu Menschen zu pflegen, die der Kirche noch fern sind. Gott ist gastfreundlich und lädt ohne Vorurteile zu einer Beziehung mit ihm ein – egal, wo man herkommt oder welche Vergangenheit man hat. Gastfreundschaft ist demnach eine Herzenshaltung und nicht ein Programmpunkt. Schweyer definiert eine Gemeinde mit Mission folgendermassen: «Sie ist von Gott in die Welt gesandt, um seine Liebe zu bezeugen und andere in diese Liebesbeziehung mit Gott einzuladen und auf dem Weg des Glaubens zu begleiten.» Wir sind dazu berufen, eine Atmosphäre der Gastfreundschaft, des Willkommenseins auszustrahlen, indem wir uns für die Menschen Zeit nehmen, die er uns anvertraut hat oder die Gott vielleicht noch nicht kennen, um ihnen wirklich zu begegnen. Dazu hilft es, einen Ort zu schaffen, wo man sich wohl und entspannt fühlt. Das kann beispielsweise bedeuten, eine neue Besucherin nicht allein im Kirchen-Café herumsitzen zu lassen, sondern sie aktiv zu integrieren.

Der zweite Aspekt ist, als Privatperson an dem Ort Leben zu teilen, wo ich wohne, arbeite, meine Hobbys pflege etc. Viele Menschen verbringen 45 Stunden pro Woche an ihrem Arbeitsplatz. Als Familie mit kleinen Kindern verbringt man viel Zeit auf dem Spielplatz, beim Elterntreff, im Sportverein, an Schulanlässen und manchem mehr. Dabei begegnet man vielen Menschen und kann dies mit einer Haltung der Gastfreundschaft tun.

«Etwas von der Seele schenken»

Kürzlich hatte ich Frühschicht im Spital. Zu Beginn stand die ganze Belegschaft der Früh- und Nachschicht im Büro zum Rapport. Da sagte eine Arbeitskollegin laut zu mir: «Melanie, schenkst du mir heute 15 Minuten von deiner Seele?» Alle schauten sie verwundert an, so dass sie ergänzte: «Ich möchte etwas mit ihr teilen, weil ich eine neue Perspektive brauche.»

Diese Situation berührte mich sehr. Ich bin nicht jemand, die gross «predigt» oder mit Bibelsprüchen um sich wirft. Das war aber offensichtlich auch nicht nötig, um dieser Kollegin so zu begegnen, dass sie sich wohl fühlte, um etwas Wichtiges aus ihrem Leben mit mir zu teilen. Jesus befähigt dich und mich, seine Zeugen zu sein: die Menschen aus unserem Umfeld durch Gastfreundschaft und geteiltes Leben in sein Reich «hineinzulieben».