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13 Jun 2022

Muss ich alles dürfen?

Da war es wieder: das anmutig klingende «Darf». Eine #echtjetzt?-Kolumne

Unter den Modalverben wie müssen, können oder sollen schwingt in unseren Kirchen – so mein Verdacht – das Dürfen weit obenaus. Wir dürfen alles: Ich darf heute den Gottesdienst leiten. Ich darf diese WCs putzen. Ich darf diese Krise als Chance sehen. Ich darf dich darauf aufmerksam machen, dass dein Hosenschlitz offensteht. Fehlt nur noch, dass wir bei akutem Harndrang während der Teamsitzung anstatt «Ich muss mal!» freudig «Ich darf mal!» dazwischenjubeln.

Warum zum Henker müssen wir in der Nachfolge von Jesus alles dürfen? Darf ich denn nichts müssen? Selbst Jesus sprach immer wieder davon, dass er etwas müsse. Sein Handeln, sein Leiden, überhaupt sein Leben: Das war nicht immer ein Juhui. Einmal fragte er seine Jünger genervt: «Wie lange soll/muss ich es noch unter euch aushalten?» Wäre es nach uns gegangen, hätte er wohl eher mit Säuselstimme fragen müssen (beziehungsweise dürfen): «Wie lange darf ich noch unter euch weilen?» Hat er aber nicht.

Manchmal scheint mir, dass wir frommer als der Meister sein wollen oder aus anderen Gründen meinen, alles immer nur dürfen zu müssen. Ein bisschen mehr Abwechslung in den Modalverben täte unseren Gottesdiensten und Kleingruppen ganz gut. Denn das sanftmütig geflötete «Ich darf» stimmt oft schlicht und einfach nicht. Ich muss. Vielleicht auch: Ich soll. Alles andere ist Realitätsversülzung, die bei noch so grosser Begeisterung für Gott kaum zu seinem Stil passt. «Ich darf in unserer Ehe gerade eine herausfordernde Zeit durchleben.» Echt jetzt?